Seitdem der UNO‑Menschenrechtsrat 2011 die UNO‑Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Principles on Business and Human Rights) verabschiedet hat, prägt das Thema Wirtschaft und Menschenrechte zunehmend die gesellschaftliche Diskussion. Mit der Volksabstimmung über die Initiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (Konzernverantwortungsinitiative) fand dieser Diskurs im November 2020 in der Schweiz einen ersten Höhepunkt.
Die UNO‑Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
Die UNO‑Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gelten als der globale Referenzrahmen, um menschenrechtliche Auswirkungen von wirtschaftlichen Aktivitäten zu identifizieren und zu beurteilen.
Im Rahmen dieser Prinzipien werden Unternehmen als «spezialisierte Organe der Gesellschaft» in die Verantwortung genommen, die Menschenrechte zu «achten» (responsibility to respect). Diese Formulierung unterstreicht, dass Unternehmen – im Gegensatz zu Staaten – zwar keine «klassischen» menschenrechtlichen Pflichtenträger (duty bearers) sind, aber dennoch eine menschenrechtliche Verantwortung tragen. So werden Unternehmen in den Säulen zwei und drei klar dazu aufgefordert, menschenrechtliche Risiken in ihre Sorgfaltsprüfung zu integrieren und nachteiligen Auswirkungen auf die Menschenrechte angemessen zu begegnen.
Die Umsetzungsstrategie für die Schweiz
Nach der Verabschiedung der UNO‑Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte bestand eine Rolle des SKMR zunächst darin, den rechtlichen Status quo und die von der Schweiz international eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte zu erfassen. Diese Arbeiten dienten als Diskussionsgrundlage für eine Strategie zur Umsetzung der Prinzipien in der Schweiz. Als Teil dieser Strategie verabschiedete der Bundesrat 2016 einen Nationalen Aktionsplan (NAP) für Wirtschaft und Menschenrechte, der 2020 revidiert wurde. Dieser umreisst die Massnahmen der Schweiz im Bereich der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung und hat die «Verbesserung des Menschenrechtsschutzes im Kontext wirtschaftlicher Aktivitäten» zum Ziel. Neben der Schweiz haben heute auch etliche andere Staaten einen Aktionsplan zu Wirtschaft und Menschenrechten publiziert oder sind an dessen Erarbeitung.
Der Nationale Kontaktpunkt
Eine wichtige Rolle für die praktische Umsetzung von Menschenrechten im wirtschaftlichen Kontext spielt der beim SECO angesiedelte Schweizer Nationale Kontaktpunkt (NKP) für die OECD‑Leitsätze für multinationale Unternehmen. Der NKP hat die Aufgabe, die Beachtung der OECD‑Leitsätze zu fördern und zu vermitteln, wenn Schweizer Unternehmen mutmasslich gegen diese verstossen haben. Bekannte Fälle, welche vom NKP vermittelt wurden bzw. werden, beinhalten zum Beispiel Beschwerden gegen die UBS, Credit Suisse, Lafarge‑Holcim, Syngenta und die FIFA.
Dem NKP steht ein Beirat mit Mitgliedern aus Wirtschaftsdachverbänden, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, der Wissenschaft und der Verwaltung zur Seite. Über diesen Beirat, den die Direktorin des SECO und die Leiterin des Bereichs Menschenrechte und Wirtschaft des SKMR (bis 2019) gemeinsam präsidierten, floss die Expertise des SKMR, etwa bei der Überarbeitung der Verfahrensregeln für den NKP, ein.
Abstimmungsplakate für und gegen die Konzernverantwortungsinitiative im November 2020 in Genf (Bild: KEYSTONE/Martial Trezzini)
Die Konzernverantwortungsinitiative…
Am 29. November 2020 konnte das Schweizer Stimmvolk über die Initiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (Konzernverantwortungsinitiative) abstimmen. Diese forderte, dass Schweizer Unternehmen die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland respektieren. Bei einer Annahme wären Unternehmen dazu verpflichtet gewesen, eine angemessene menschen- und umweltrechtliche Sorgfaltsprüfung vorzunehmen. Zudem sah die Initiative eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen vor, wenn diese bei ihren Geschäftstätigkeiten die gebotene Sorgfalt nicht anwenden und menschen- und umweltrechtliche Standards verletzen. Bei einem knappen Volksmehr scheiterte die Initiative jedoch am Ständemehr.
…und der indirekte Gegenvorschlag
Sofern kein Referendum dagegen ergriffen wird, tritt deshalb der indirekte Gegenvorschlag in Kraft. Dieser wurde vom Parlament im Juni 2020 verabschiedet. Er sieht vor, dass Unternehmen jährlich einen Bericht über nicht-finanzielle Angelegenheiten, wie beispielsweise Umwelt-, Arbeitnehmenden- und Sozialbelange, Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption, erstellen. Ausserdem beinhaltet die Gesetzesänderung eine Sorgfaltsprüfungspflicht bei der Einfuhr von gewissen Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten sowie im Bereich der Kinderarbeit. Ein anderer Gegenvorschlag, der sich stärker an der Initiative orientierte, wurde vom Parlament verworfen.
Das SKMR stand den zuständigen Bundesstellen, Parlamentsmitgliedern und weiteren Interessierten während des gesamten parlamentarischen Prozesses beratend zur Verfügung. So analysierte und kommentierte das SKMR beispielsweise regulatorische Entwicklungen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte in anderen Ländern sowie in der OECD und der EU.
«Das SKMR stand den zuständigen Bundesstellen und Parlamentsmitgliedern während des gesamten parlamentarischen Prozesses beratend zur Verfügung.»
Zwecks Harmonisierung mit bestehenden internationalen Standards wurde diesen Entwicklungen auch bei der Erarbeitung des indirekten Gegenvorschlags Rechnung getragen. So orientieren sich die Bestimmungen zur nicht-finanziellen Berichterstattung an der CSR-Richtlinie der EU von 2014. Jene zu den Sorgfaltspflichten im Bereich der Konfliktmineralien sind u.a. an die EU-Konfliktmineralienverordnung und an den entsprechenden OECD‑Leitfaden angelehnt. Die Verpflichtungen im Kontext der Kinderarbeit stützen sich auf den (noch nicht in Kraft getretenen) niederländischen Child Labor Due Diligence Act und den hierzu erlassenen OECD‑Leitfaden.
Menschen arbeiten in einer Goldmine im Sudan. Für die Einfuhr von Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten wird in der Schweiz voraussichtlich eine Sorgfaltsprüfungspflicht eingeführt. (Bild: iStock/Maciek67)
UNO‑Konvention zu Wirtschaft und Menschenrechten
Seit 2018 verfolgt und kommentiert das SKMR zudem die UNO-Verhandlungen über ein verbindliches Staatenabkommen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Die zuständige Arbeitsgruppe veröffentlichte 2020 den dritten Konventionsentwurf. Dieser würde Staaten u.a. dazu verpflichten, eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen gesetzlich zu verankern. Das SKMR unterstützt den Bund in diesem Prozess. Es erarbeitet Analysen, die als sachliche Grundlage für die Interventionen der Schweiz im Rahmen dieser Verhandlungen dienen. Zudem nimmt das SKMR regelmässig an Konsultationen mit weiteren interessierten Akteur*innen teil.
Ausblick und Fokus des SKMR
Die dynamischen Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass es ein grosses gesellschaftliches und politisches Interesse gibt, die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen gesetzlich zu verankern und in die Realität umzusetzen. Aktuelle Initiativen auf Ebene der EU und in anderen europäischen Ländern – wie z.B. in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Finnland – bestätigen diesen Trend.
«Auch in der Schweiz werden weitere Schritte für verbindlichere menschenrechtliche Pflichten von Unternehmen folgen müssen.»
Ebenso zeichnet es sich ab, dass immer mehr Staaten eine verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungspflicht befürworten. Für eine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz und ihre Unternehmen sind klare, auf das internationale Umfeld abgestimmte Rahmenbedingungen zentral. Der vom Parlament verabschiedete indirekte Gegenvorschlag ist deshalb nicht das Ende einer Diskussion, sondern erst deren Anfang. Auch in der Schweiz werden weitere Schritte für verbindlichere menschenrechtliche Pflichten von Unternehmen folgen müssen, um neuen internationalen Standards gerecht zu werden.
Während im Rahmen der Tätigkeiten des SKMR anfänglich das gesetzliche Umfeld und die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz im Vordergrund standen, hat sich der Fokus in den letzten Jahren erweitert. Das SKMR kommentiert und analysiert nun auch regelmässig regulatorische Initiativen anderer Staaten, der EU, der OECD und der UNO. Durch diese vielseitige Arbeit hat das SKMR dazu beigetragen, dass menschenrechtliche Verantwortung und wirtschaftliche Aktivitäten nicht als Gegensätze zu verstehen sind, sondern sich gegenseitig ergänzen. In diesem Sinne wird das SKMR das Thema in den kommenden zwei Jahren weiterhin aktiv begleiten und seine Expertise Behörden, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zur Verfügung stellen.
Studien des SKMR zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte